Katastrophenhilfe und Wissenschaft am Beispiel des Tsunami

Die Folgen des Tsunami vom 26. Dezember 2004 stellen für die Betroffenen wie für die internationale Gemeinschaft eine gewaltige Herausforderung dar. Die Uni Klagenfurt engagiert sich wissenschaftlich mit den Auswirkungen der Katastrophe in Südasien.

In einer Projektvorstellung mit anschließender Podiumsdiskussion am 21. Juni 2006 stellten Dr. Barbara Preitler vom Institut für Psychologie in Klagenfurt und Dr. Simron Jit Singh* vom Institut für Soziale Ökologie des IFF in Wien zwei auf einen Zeitraum von drei Jahren ausgerichteten und vom FWF und der Diakonie Austria geförderten Projekte vor. Das Projekt „Psychosoziale Erstversorgung in Amparai und anderen ländlichen Regionen im Osten Sri Lankas“ fördert die Ausbildung von lokalen Verantwortlichen in Traumacounseling. RECOVER (Research on Coping with Vulnerability to Environmental Risk) engagiert sich vorrangig für die Beratung lokaler Gemeinschaften auf den Nikobaren in der selbständigen Planung und Umsetzung alternativer Wirtschaftsaktivitäten.

Die Zusammenarbeit zwischen VertreterInnen der Universität Klagenfurt, österreichischen Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) wie der Diakonie und Caritas Österreich sowie lokalen Partnern in den Projektländern ermöglicht den Einsatz unterschiedlicher Kompetenzen innerhalb gemeinsamer Vorhaben. Welche Chancen und Herausforderungen diese interdisziplinäre und interkulturelle Zusammenarbeit mit sich bringt und ob diese Erfahrungen Modelle für eine zukünftig verstärkte Kooperation zwischen Universitäten und NGOs darstellen, wurde im Rahmen der anschließenden Podiumsdiskussion „Wissenschaft und Katastrophenhilfe“ diskutiert. Diese wurde von Univ.-Prof. Dr. Klaus Ottomeyer moderiert.

Univ.-Prof. Dr. Heinrich C. Mayr, Rektor der Universität Klagenfurt, befürwortet die praktische Zusammeneinarbeit zwischen NGOs und Universitäten. Die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse für von den Folgen von Katastrophen betroffene Gemeinschaften sieht er als eine wichtige Aufgabe der Wissenschaft. Er möchte darauf hinarbeiten, dass die Universität Klagenfurt als eine angewandte Universität bekannt wird – d.h. als eine, die erworbenes Wissen und Erfahrungen weitergibt und sinnbringend in konkrete Projekte einbringt.

Univ.-Prof. Dr. Marina Fischer-Kowalski, Leiterin des FWF-Projektes RECOVER, stimmt diesem Anliegen zu, sieht jedoch zugleich unterschiedliche Dilemmas, die sich in der konkreten Zusammenarbeit und in der Umsetzung von Projekten ergeben: Ein Wissenschafter begibt sich auf ein heikles Territorium, wenn er die Rolle des distanzierten Beobachters verlässt und lokale Gemeinschaften dabei unterstützt, ihre Interessen gegenüber unterschiedlichen Stakeholdern zu vertreten. Beide Rollen in ein und derselben Person zu vereinbaren, ist immer problematisch, auch wenn es immer wieder gut und notwendig ist. Ein anderes klassisches Dilemma ergab sich auch bei den Aktivitäten des Sustainable Indigenous Futures (SIF) Fund, der sich für die Projekte auf den Nikobaren engagiert und dem Fischer-Kowalski vorsitzt. Den lokalen Partnern wurde eine weitgehende Selbstbestimmung in der Verwendung der zugestandenen Mittel eingeräumt. Andererseits sind – mit Verantwortung gegenüber den Spendern – die Mittel dieses Fonds den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung gewidmet. Die NikobaresInnen befinden sich derzeit in einer Situation, in der sie mit vielen neuen Einflüssen konfrontiert sind. Es mag durchaus sein, dass Selbstbestimmung und Nachhaltigkeit in Widerspruch zueinander geraten. Wie wird dann verfahren? Ein drittes Dilemma ergibt sich aus dem Widerspruch zwischen dem Primat einer standardisierten Grundversorgung, wie in Katastrophensituationen von Menschenrechtsorganisationen und NGOs gefordert, und den Bedürfnissen und Prioritäten von Gesellschaften, die wie die Nikobaren vor der Katastrophe auf ihre Weise ein gutes Leben führten, aber niemals solche Standards berücksichtigten. Für Fischer-Kowalski fehlt ein Partner auf diesem Podium, dessen Einfluss diese Dilemmas häufig verschärft: die Medien. Sie erzeugen jenes Gefühl der Dringlichkeit, das NGOs im Wettstreit um Spendenmittel zu allzu schnellem Handeln drängt, sie profitieren von einer kommunikativen Dramatisierung von Situationen, die gelassene und kulturell angepasste Reaktionen erschweren. Zugleich mobilisieren sie natürlich auch die Mittel zur Linderung der Dramatik und erzeugen Kristallisationspunkte öffentlicher Aufmerksamkeit, die auch wissenschaftliche Ressourcen in Bewegung setzt.

Mag. Barbara Götsch von der Diakonie Österreich bestätigt Fischer-Kowalskis Argumentation, was die Beziehungen zwischen NGOs und Medien betrifft. Timing und hier vor allem die Präsenz in den Medien ist alles, wenn es darum geht, in den ersten Tagen einer Katastrophe Spendenmittel für die Unterstützung von längerfristigen Projekten zu akquirieren. NGOs sind hierbei einem großen Druck ausgesetzt, besonders dann, wenn sie – wie häufig der Fall – personell unterbesetzt sind. Zeit und Muße für die Auseinandersetzung mit den eigentlichen Problemen in einem Land bleiben daher mitunter auf der Strecke. Neben den Diskussionspartnern aus den Bereichen Wissenschaft und NGOs sowie den hier nicht anwesenden VertreterInnen der Medien vermisst sie in der Diskussion vor allem die Stimme und Meinungen der lokalen Partner, die in einer solchen Auseinandersetzung von großer Bedeutung sind. Die Sozialanthropologin betont, dass wissenschaftliche Inputs für Projekte äußerst wichtig sind, es sich hierbei jedoch nicht um ein Wissen handelt, das ausschließlich im Westen „gehortet wird“: Auch in den jeweiligen Partnerländern gibt es Verantwortliche mit wertvollem lokalen Wissen. Zudem besteht die Möglichkeit, Kontakte zu den regionalen Universitäten aufzunehmen.

Wie Mayr betonte, sind neben den Spendenmitteln für die konkrete Umsetzung von Projekten weitere Fördermittel nötig, um eine wissenschaftliche Beratungen von Projekten auch in Zukunft zu ermöglichen. Univ.-Prof. Dr. Hermann Hellwagner, Mitglied des Wissenschaftsfonds FWF, erklärt in diesem Zusammenhang, dass der FWF derzeit rund 5 % seiner Fördermittel für sogenannte „translationale“ Projekte zur Verfügung stellt, die neben wissenschaftlichen Grundlagen auch in einen konkreten Nutzen bezwecken. Dies sei häufig ein wirtschaftlicher Nutzen, könne aber auch, wie am Beispiel des RECOVER-Projekts von Fischer-Kowalski und Singh, ein gesellschaftlicher Nutzen für eine lokale Bevölkerung sein. Die Hauptaufgabe des FWF ist es jedoch, wissenschaftliche Grundlagenforschung zu fördern.

Allen DiskutantInnen gemeinsam war das Anliegen, Praxis und Theorie in einer solchen Weise zu verbinden, dass die von Katastrophen bzw. Krisen betroffenen Menschen und Bevölkerungsgruppen bestmöglich unterstützt werden, ihre eigenen Lösungsvorschläge und Initiativen umzusetzen.
(Bericht: Brigitte Vettori)

http://www.uni-klu.ac.at/psy/index.php?cat=sozi&sub=sril&sub2=proj
http://www.iff.ac.at/socec/projekte
http://www.sifutures.at

* No Man Is An Island – SCIENCE berichtet über Simron Singh, Sozialwissenschafter & Helfer für die Nikobaren nach dem Tsunami

Simron Singh, österreichischer Human-Ökologe und Anthropologe, wird in der aktuellen Ausgabe von SCIENCE porträtiert. Im Mittelpunkt steht dabei seine Arbeit auf den Nikobaren – vor und nach dem verheerenden Tsunami, der im Dezember 2004 Südasien verwüstete. Nach der Katastrophe wurde Singh von den Stammesältesten um Hilfe beim Wiederaufbau ihrer Gesellschaft gebeten. Singh half auf vielerlei Art und wurde dabei auch vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützt. Die Geschichte seiner Arbeit ist auch die einer persönlichen Wandlung: vom objektiven Beobachter, über einen betroffenen Helfer zum aktiven Gestalter. SCIENCE berichtet wie er und seine KollegInnen über diese unvermeidliche Wandlung fühlen und denken.

Bild und Text ab Freitag, 7. Juli 2006, 09.00 Uhr MEZ verfügbar unter:
http://www.fwf.ac.at/de/public_relations/press/fwf-feature-200607-de.html

Originalpublikation: After the Tsunami: A Scientist’s Dilemma. R. Stone, SCIENCE 7 July 2006:32-35
DOI: 10.1126/science.313.5783.32