Wie Orchester ohne Dirigent: Technik bringt sich selbst in Gleichtakt

Kann man alle Kirchenglocken eines Landes gleichzeitig schlagen lassen, ohne dass eine zentrale Stelle den Takt vorgibt? Man kann.

Für zukünftige Technologien wie die dezentrale Kontrolle von Autoverkehr oder Roboterschwärmen ist es immer wichtiger, in ähnlicher Weise synchron zu funktionieren. Forscher aus Göttingen und Klagenfurt haben nun eine neue Methode zur selbstorganisierenden Synchronisation entwickelt und den mathematischen Beweis erbracht, dass sich Systeme damit garantiert selbst in den Gleichtakt bringen können.

Orchester setzen wie heutige Handynetze auf zentrale Stellen, die für die Koordination zuständig sind. Beide sind fehleranfällig: Fällt der Dirigent oder Handymast aus, stehen Musiker und Handys still. Eine Lösung für dieses Problem bieten selbstorganisierende Systeme. In der Anwendung würden beispielsweise Signale von Mobiltelefonen nicht mehr über Masten verbreitet werden, sondern jedes Handy könnte selbst die Funktion eines Masts für einige andere, benachbarte Handys übernehmen.

Dieses Zusammenspiel von Geräten kann jedoch nur funktionieren, wenn deren Signale synchronisiert werden. Modelle und Computersimulationen gibt es dazu schon seit vielen Jahren. Nun konnte jedoch erstmals mit mathematischer Genauigkeit bewiesen werden, dass ein solches System immer funktioniert. Der dazu nötige Algorithmus erscheint Ende Juli in der Fachzeitschrift „New Journal of Physics“. Die Autoren Johannes Klinglmayr und Christian Bettstetter von der Alpen-Adria-Universität sowie Christoph Kirst und Marc Timme vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen haben hierzu auch ein Patent eingereicht.

Johannes Klinglmayr erläutert die Methode am Beispiel von Kirchenglocken: „Stellen Sie sich vor, kein Messner hat eine Uhr und auch keine zentral gelegene Kirche gibt das Signal vor.  Mit dem von uns entwickelten Regelwerk würde es gelingen, dennoch alle Glocken gleichzeitig ertönen zu lassen.“ Mit Hilfe der neu entwickelten Methode ändert sich in Reaktion auf die empfangenen Signale die Zeiteinstellung an jedem Ort schrittweise so, dass nach mehreren Malen Läuten alle Kirchenglocken im Gleichtakt schlagen. Wichtigste Neuerung dieser Erfindung ist, dass die Methode garantiert zum Gleichtakt, der Synchronisation führt, egal wie ungleichmäßig die Signale am Anfang sind und selbst, wenn manche Signale nicht empfangen oder überhört werden. Die Idee lässt sich, so Marc Timme, für verschiedenste Technologien in der Anwendung nutzen: „Auch Gruppen von Robotern könnten so an verschiedenen Stellen gemeinsam Aufgaben lösen, wenn sie sich gegenseitig synchronisieren und so absprechen.“

Die Ergebnisse entstanden in einer Kooperation zwischen der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt (Institut für Vernetzte und Eingebettete Systeme, Lakeside Labs) und dem Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation Göttingen (Network Dynamics Group).

Video unter http://iopscience.iop.org/1367-2630/14/7/073031

English press release