Von Lebenswerken und blutenden Herzen

Für viele Tourismus-UnternehmerInnen war dies die letzte Saison: Von 2009 bis 2018 wird allein in Kärnten etwa jeder vierte bis dritte Hotelleriebetrieb übergeben. Ruth Lerchster hat die Übergabe von Familienunternehmen in der Tourismusbranche beforscht.

Übernehmen und übergeben stellt vor Herausforderungen: Die Älteren müssen die eigene Endlichkeit, die Jüngeren die Endlichkeit ihrer Eltern annehmen und loslassen, was gerne festgehalten werden würde. NachfolgerInnen stehen vor der Frage, ob sie individuelle und autonome Lebenskonzepte umsetzen oder ob sie mit dem elterlichen Betrieb einen Lebensweg einschlagen, der von den Eltern häufig schon vorbestimmt ist bzw. an einer – mal engeren, mal offeneren – Familientradition anschließt. ÜbergeberInnen müssen unter Geschwistern eine Auswahl treffen und Vertrauen in die Partnerwahl des übernehmenden Kindes haben. Die weitere Ausrichtung des Betriebs, aber auch das Zusammenleben in der Familie sind in Veränderung. „Die Übergabe von Familienunternehmen ist ein Prozess mit vielerlei Spannungsfeldern“, so Ruth Lerchster (Institut für Interventionsforschung und Kulturelle Nachhaltigkeit).

Sie hat in einem Forschungsprojekt mit Familienunternehmen in der Tourismusbranche gearbeitet und ihre Ergebnisse in Buchform veröffentlicht (Von Lebenswerken und blutenden Herzen. Die Übergabe in Familienunternehmen der Tourismusbranche. Ein Interventionsforschungsprojekt. Heidelberg: Carl-Auer Verlag 2011).

Um die vielfältigen Spannungsfelder sinnvoll zu nutzen und Konflikte zu verhindern, sieht Lerchster einen hohen Kommunikationsbedarf in den unternehmerischen Familien: „Familien haben prinzipiell wenig Übung darin, Probleme aufzugreifen und in bewusst gestalteten Kommunikationsprozessen zu diskutieren. Es ist eher unüblich, sich in Familienklausuren einzufinden, sich der Aussprache willen Auszeiten zu gönnen, oder gar Konfliktberatung in Anspruch zu nehmen.“ Vielmehr würde Kommunikation in ungeordneten Bahnen zwischen Tür und Angel ablaufen. „Häufig“, so Lerchster, „wirken sich familiäre Probleme auf das Unternehmen aus und umgekehrt werden unternehmensrelevante Entscheidungen im Ehebett getroffen.“ Die Vermischung von Person und Funktion sei ebenfalls an der Tagesordnung: „Wer spricht eigentlich mit wem? Der Vater zum Sohn? Der Jungunternehmer zum Vorgänger? Oder der Chef zum Untergebenen?“

Das Ausscheiden aus dem Unternehmen sowie die Übernahme einer verantwortungsvollen Führungsposition und eines traditionsreichen Familienunternehmens stellen Übergangssituationen dar, die Personen und Systeme in eine Art Ausnahmezustand versetzen. „Es braucht einen neuen Blick auf die Übergabe als komplexer Prozess, den es zu organisieren gilt. Eine Bewegung in diese Richtung kann und wird einem gelungenen Nachfolgeprozess reale Chancen einräumen, die Familie und das Unternehmen stärken und Widersprüche letztlich in Balance bringen“, so das Fazit der Interventionsforscherin.